Sonntag mit Morgenroutine- Lesen

Jeden Morgen öffne ich als erstes die Balkontür.

Den Blick schweifen lassen. Kein Haus mehr, nur Bäume. Verborgen,  nicht weit dahinter liegt ein See. Zu Fuß nicht zu erreichen. Im Sommer waren die Drei manchmal mit einem Kajak dorthin aufgebrochen. Dem Flüsschen folgend, das erst in Tielenhemme Fluss genannt werden kann.

Der See verbirgt sich hinter  weiß blühenden Obstbäumen, Fichten, Eichen, Ahornbäumen, Birken.

Vögel singen polyphon. Regen ist gefallen.

Schließe die Tür.

Wie jeden Morgen, seit das Buch hier eintraf,  nehme ich  “ 100 sehr kurze Gespräche“ von Elke Engelhardt zur Hand. Schlage es auf, um ein Zufallsgedicht zu lesen.

„Du musst die Träume von den Bäumen pflücken, sagte mein Vater. Aber du darfst sie nicht anschauen. Leg sie in einen gläsernen Sarg und begrabe sie unter dem Laub des Lebens. Dann musst du warten, sagte er.“

https://elifverlag.de/produkt/100-sehr-kurze-gespraeche-%C2%B7-elke-engelhardt/

Hier ihr ebenso wunderbarer Blog: https://muetzenfalterin.blogda.ch/

Sprache wie diese trägt mich  manchmal durch den ganzen Tag. Tage an denen ich die Welt Welt sein lasse..

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Pflichtteil

Lustlos starte ich ein 10 minütiges workout, um später in die Freundinnengruppe schreiben zu können: 10 min tägliches workout geschafft.

Es geht um das Installieren neuer Routinen. Ideengeber war einer,  der  sich wie Spiderman durch die Stadt bewegt. Zehn Minuten reichen für den Anfang, sagte er, als ich über das Alter lamentierte.

Belohnung.

Kaffee, ein weiteres Buch. Mutterbuch.

Das Kind geht im Italienurlaub verloren und wird von einer schönen, und in sich ruhenden Italienerin zur Polizei gebracht.

Es ist der Höhepunkt eines Urlaubs, in dem der Vater der Mutter immer wieder vorhält, sie sei zu dick. Die Mutter ist zornig , kämpft mit Diäten und Knäckebrot, verschanzt sich hinter Büchern.

Währenddessen sitzt das Kind neben der bildschönen Mariella auf dem Polizeirevier. Die Eltern hatten mit sich selbst zu tun.

“ Seit Mariella mich an die Hand genommen und durch die Stadt zum Revier geführt hatte, seit also klar war, dass ich in Sicherheit war, hatte ich mir vorgestellt, wie es wäre, sie zur Mutter zu haben. Eine dünne, gut gelaunte Italienerin. Mit der mein Vater entspannt am Strand liegen könnte und die bestimmt niemals, niemals eine Diät machen würde.“

„Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher.

Zum Schluss eine Seite Ilias.

So war der Morgen. Jetzt breche ich zur Arbeit auf.

Mittwoch mit „Restwärme‘ von Dara Brexendorf

Aus dem Umschlag hole ich ein winziges, kleines, grünes Buch.“

„Restwärme“ von Dara Brexendorf. 

In ihrem Text, schreibt Dara Brexendorf von der Zeit, als ein grosser Teil Kiels für Wochen von   brachialen Hammerschlägen erschüttert wurde. 

https://taz.de/Kampf-um-ein-Kieler-Kleingartengelaende/!5052007/

Ein Kleingartengelände fiel dem Bau eines Möbelhauses zum Opfer.

Ebenso eine sechs Hektar grosse Ausgleichsfläche, die versehentlich gerodet wurde.

Lesend erinnern.

  Dara Brexendorf’s Sprache erwischt mich.

Sie beschreibt die Hoffnungslosigkeit, das etwas Engegensetzen, pachtet mit anderen Mitstreitern einen Schrebergarten.

“ Im März hören wir das erste Kreischen der Möwen. Im Winter halten sie sich gerne bei Mülldeponien und Fischereihäfen auf. Im Frühjahr besiedeln sie vermehrt die Dächer der Stadt, suchen sich Nistplätze und werden lauter bis der Sommer kommt.

Normalerweise empfinden wir ihr Kreischen als Angriff. Jetzt freuen wir uns, wenn das Kreischen das Hämmern übertönt.

Wir sagen: Bei uns hört man es auch und das ist am Ende der Stadt.

Wir sagen: Schön ist das nich, geh auf gar keinen Fall hin.

Wir sagen: Das Stampfen klingt wie eine Depression.“

Poetisch verwebt ein kollektiver Erzähler, mit lyrischer  Melodie,  die Wochen jenes Übergriffes. Das erschafft einen Strom unterm Strom.

“ Einmal sitzt ein Entenpärchen auf dem Asphalt, als wir die Gartensiedlung verlassen. Die Enten wärmen sich an der Restwärme, die im Strassenbelag gespeichert ist. Sie sind in sich selbst versunken. Als wir stehenbleiben, um ihnen zuzuschauen, drehen sie nicht einmal den Kopf nach uns.“

Ein melancholischer Text, aber nicht nur. Man spürt die Fassungslosigkeit, den Zorn, die Hoffnungslosigkeit, den Mut, das Aufbegehren.

Das Gärtnern, auf der zur Verfügung gestellten Ausgleichsfläche, wird  zum  Akt des Gegenhaltens.

“ Wir sagen: Dieser Garten hat einen Charakter.

Wir sagen: Unter dem Land liegt Feinfühligkeit.

Wir sagen : Ich habe Wurzeln aus dem Boden gezogen, von denen ich keine Ahnung hatte.“

Ein besonderer Text, der durch Sprachkraft und Poesie besticht.

Aufmerksam geworden bin ich durch : https://leseschatz.com/ (Hauke Harder). Danke.

Dieser  jungen Autorin wünsche ich noch sehr viele Leser und bin gespannt auf ihr Debüt.

Dara Brexendorf: Restwärme (DgR 8)

Der grüne Hut

Ich hatte ihn nicht gekannt.

Ein Jahr lang war ich jeden Tag an ihm vorbei gegangen. Er saß vorm Supermarkt an dem mein Weg vorbeiführte. Meist legte ich eine Münze auf den Boden des grünen Zylinders.

Bis zu diesem Abend: ich kam von einer Schicht. Es war spät. Ich war müde.“ Entschuldigung, habe sie vielleicht etwas Kleingeld für mich?“

Ich hatte selbst einen kargen Monat. Seit dem Umbruch war jeder ein karger Monat gewesen. Umzugskosten, Unterhalt, Scheidungskosten, Autowerkstatt. Ich ging nach meinen Schichten in der Pflege putzen um Taschengeld zu haben für wordpress oder ein Buch.

Dieses Mal wollte ich nicht mit einem : tur mir leid vorbeigehen.

„Ich sehe sie arbeiten hart, ich aber auch. Ich hab einfach nichts übrig.

Ab diesem Abend sprach er mich nicht mehr an. Vorher hätte ich schwören können, dass er mich nie erkannte. Die folgenden Tage sollten aber das Gegenteil zeigen. Kaum nahm er mich auf dem Fußweg wahr, wendete er sich ab.

Ich ging jetzt jeden Tag an jemanden vorüber, der mir ein schlechtes Gewissen verursachte.

Manchmal bog ich bereits am Kino ab, um mich nicht mehr an ihm vorbei zu müssen.

„Jeder fünfte Einkauf. Nach jedem fünften Einkauf gebe ich etwas“, aber  der Deal ist, dass sie mich zwischendurch nicht mehr fragen.

Das funktionierte.

Gestern hörte ich, er sei gestorben. Er war noch jung.

Es hat mich betroffen gemacht

Ruhe in Frieden.

Mittwoch mit . Gerade halten

Herbst in der Stadt- So anders. Auf dem Fensterbrett des Schlafzimmers hält sich ein winziges Ahornblatt auf der Spitze. Es zittert wie Espenlaub, aber es hält sich gerade.

Gerade halten.

„Du decodierst den Text?, fragt M.

Ja. Mit Hilfe derer, die ihn bereits decodiert haben. Ein völlig anderes Leseerlebnis. Eine Stunde meines Tages verbringe ich in Dublin. Zitronenseife in der Tasche, durch die Stadt schlendernd. Während Boylan sich an die kleine Verkäuferin heranmacht, mit Nelke im Mund, sie Schnuckelchen nennend. Eigentlich ist er ja auf dem Weg zu Molly. Boylan unterläuft. Alles.

Dedalus Geschwister sitzen derweil vor einem Topf gespendeter Erbsensuppe. Tiefe Armut. Vater unser der du nicht bist im Himmel.

Und sonst?: Herbst in der Stadt.

Montag mit Sina, Bakeliet und einer Kindheit in der DDR

Hast du Zeit? Ich bin heute in Kiel. Vor einem Jahr hatten Sina und ich uns im Stasimuseum in Berlin-Lichtenberg getroffen. Tag der offenen Tür. Ich besuchte einen Workshop, der einem erklärte wie die Akten zu lesen seien.

Sina und ich hatten ausgemacht, dass wir uns genau ein Jahr später wieder treffen wollten.

Mir kamen die Instandhalter*innen dazwischen.

Frühstück im Bakeliet. Es gibt hier den besten Kaffee Kiels.

Im intensiven Gespräch das thematisch um die Zeit vor 89 kreist, denke ich plötzlich daran: wie eine Amerikanerin zu einer Chemnitzerin sagte: „Da hast du ja endlich jemanden aus deinem Volk gefunden.“

Sina und ich sind aus einem Volk. „Ich habe Akteneinsicht beantragt, erinnerst du dich? Sie sind fündig geworden. Es gibt Akten über ihn.. Es kann noch bis zu zwei Jahren dauern, bis ich Einsicht bekomme. Ich war froh zu erfahren, dass er nicht Recht hatte mit seinem: vergiss es, alle längst geschreddert.

„Hattet ihr Angst vo der Staatssicherheit?“, hatte Karla mich im Interview gefragt. “ Nein, ich hatte keine Angst, aber ich hätte sie haben sollen. Es war normal für mich, zu wissen dass jeder auch hätte Zuträger sein können. Ich habe einfach für möglich gehalten, dass der oder die Andere mit falschen Karten spielt. Bei ihm habe ich es nicht für möglich gehalten.

Langer Spaziergang am Wasser entlang.

Es wird leicht und schwer, leicht und schwer. Schwer in der Thematik der Wochenkrippe und des Wochenheimes.

Man hat den Müttern erzählt, es sei ohnehin besser, wenn die Gesellschaft das Kind erzieht unter professionellen Bedingungen. Sozialistischer Staatsbürger ab der 1.Stunde. Studien die in der CSSR zur Schließung der Wochenheime führten, wurden in der DDR unterschlagen.

Sina gab mir diesen Tipp: https://kpm.med.uni-rostock.de/fileadmin/Kliniken/znkpm/Flyer_Wochenkrippe.pdf

Leicht wurde es bei der Frage wie das Leben zu leben sei.

„Ich will das künftige Leben leben, da soll es Kekse, Marmelade, Schokolade geben, und das man immer auf dem Feld an Bäumen vorbei spazieren kann. Ich will gewöhnlich leben mit Glück“ lässt Platonow in “ Die glückliche Moskwa“ seine Protagonistin sagen.

Komm nach Berlin sagt Sina, im Winter, wenn das Wetter einen runter zieht. Wir tanzen uns durch die Clubs. Ich geh nicht in Clubs sage ich, nie, ich fühle mich zu alt dafür.

Nicht in Berlin, sagt sie, in Berlin ist das egal.

In der Nacht Ulysses gelesen. Was für ein Buch.

Immer noch Sonntag mit Uni, Inklusion und Bachmann lesen

Wie schon mit Manns Dr. Faustus, so ergeht es mir auch mit Bachmanns Malina oder Das Buch Franza

Der Hauptbestandteil der Lektüre wird Arbeit. Ich verliere mich in den Seitenarmen, lande bei Wittgenstein und Adorno. Lege das Buch beiseite, denke über den Satz nach: warum die Menschheit, anstatt in einem wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten in eine neue Art von Barbarei versinkt.

( Adorno/Horkheimer 1984). Eine Eilmeldung blinkt auf. Das immer wieder angegriffene AKW in Saporischschja wurde vom Netz genommen Und

Kein Gas mehr über Nordstream1. Energiekrieg. Ich sollte das Handy ausschalten.

Im Prinzip kann man Bachmann nicht verstehen ohne Wittgenstein und Adorno gelesen zu haben. Das glaube ich. Es braucht Handwerkszeug. Bitterfelder Weg mag im Schreiben funktionieren, beim Lesen ist es ein Irrweg.

Maria erinnerte mich an die Möglichkeit eines Gasthörerdaseins an der Cau. Stimmt: Hanisch war großartig, erinnerte ich mich. In der Coronazeit hatte ich die Uni digital besucht.

Und sonst: denke über das Gespräch mit Frigga nach. Es ging um Inklusion, Wohnformen, inklusive WGs. https://inklusionsberaterin.de/wohnsinn-inklusive-wohngemeinschaften/

Spannend, inspirierend, einfach gut. So war das Treffen mit Jana, Karl und Frigga. Ein Revival vom Vorjahr

Habe mich zum Wintersemester in Philosophie eingeschrieben. So wie es mir die Arbeitszeit erlauben wird. Scheine und Punkte brauche ich zum Glück nicht. Nur Wissen um verstehen zu lernen.

Sonntag mit Zensur und Caroline Fourest

Geweckt vom Amselgesang. Der gestrigen Diskussion nachgespürt.

Aus Protest abermals die Gegenposition eingenommen. Mit den Worten: es ist nicht meine Meinung, aber es lohnt sich immer -die Blickrichtung wechseln zu können.

Die Diskurslinien sind auch mir zu eng gesetzt. Lese: Generation beleidigt von Caroline Fourest.

Ich weiß nicht wohin diese Selbstzensur führen soll. Sprachwandel ja aber so Korinthenkackerhaft? Ich glaube ohnehin, dass Zensur egal ob selbst auferlegt oder verordnet zu einem zweiten Sprachstrom führt. Das machte den Theater und Kulturbetrieb in der DDR so interessant , schreibt jemand dessen Namen ich hier nicht nennen will, weil man ihn vermutlich nicht nennen darf ohne einem Generalverdacht unterstellt zu werden.

Wie soll Debatte gehen fragt Fourest, wenn man von vornherein ganze Bevölkerungsgruppen ausschließt?

Auf dem Laufband, als der Nachrichtensprecher vom Maskenskandal erzählt: Schadhafte Masken für Obdachlose und Menschen mit Behinderung. Ich stelle die Geschwindigkeit höher. Spahn sollte seine Sachen packen.

Hier das neue Domizil noch unbearbeitet

Pfingstmontag mit Max Frisch und Alice

In Ermangelung von Sloterdijk, den ich irgendwohin verlegt habe, lese ich Max Frisch. Wahrscheinlich kann man die Beiden nicht miteinander vergleichen, aber Frischs Stil ist ebenso klar, kühl und treffsicher.

Ein fremdes Tagebuch. Alice, die junge Geliebte Max Frischs, erzählt begeistert von einem Co Counselling Workshop. Emotionen raus-lassen und annehmen. Kollateralschäden gab es: eine verletzte Wirbelsäule, ein Beinbruch. Beides hatte Job-Verlust und hohe Krankenhaus-Kosten zur Folge. Frisch reagiert mit Unverständnis. Ein narzisstischer Workshop, bei dem keiner der Beteiligten auf die Idee kommt, Folgegeschädigte finanziell durch Spenden zu unterstützen. Alice reagiert ebenso pikiert aber in gegensätzlicher Richtung. Es sei doch kein Workshop für Solidarität gewesen. Sie wirbt weiter Teilnehmer.

Und sonst: ich ziehe die Bettwäsche ab. Früher mochte ich das Ankommen ebenso wie das Ablegen. Das Eine, das in Besitz nehmen, das Andere beinhaltet den Reiz des Spuren verwischens. Ich gebe das Haus sich selbst zurück. Erinnerungen an diese unstete Zeit. Reisen durch Paris, Genua, Venedig, Kephalonia, Bukarest, Deva. Jede zweite Nacht im Nachtzug unterwegs irgendwohin. Sommer 1990 mit dem Versuch alle nicht erlebten Reisen nachzuholen.

Nicht erfüllt haben sich: Nicaragua, New York, Buenos Aires.

Später am Tag lasse ich Pfingstvögel aus Schafwolle fliegen während ich “ Please don’t let me be misunderstood“ von Joe Cocker höre.

Erinnere mich, ebenfalls bei Max Frisch, in Montauk, das Zupfen von Schafwolle für das Fertigen von Figuren, gefunden zu haben.

Dienstag mit Stellplatzsuche, Wohnungssuche etc. in Kiel und Umgebung

In Kiel und Umland gesucht

Noch einmal nutze ich den Blog, um eventuell neue Ideen zu finden.

Ich suche für jede zweite und vierte Woche im Monat (von Freitag bis Freitag) eine Möglichkeit unterzukommen. Dabei möchte ich ungern irgendwo ein Zimmer mieten. Am liebsten wäre mir ein Wohnwagenstellplatz, ein Dauercampingplatz in der Nähe oder eine bezahlbare Einzimmerwohnung (illusorisch ich weiß).

Außerdem suche ich für mich einen Bulli, aber der ist im Moment nicht so dringend:)

Alternatives Narrativ

„Aus der Höhle kommen und überleben, nicht irgendwie sondern in einer neuen Qualität. Der Bestien draußen und drinnen Herr werden.

Handlungsfähig werden.“

Aus : “ Nicht sterben“

Frankfurter Poetik Lesungen von Terezia Mora

Morgenrot über dem See.