Sonntag mit Sardinen, Portwein aus Wärmflaschen und einem ungewöhnlichen Gast

Die letzten drei Tage war Marian zu Besuch gewesen. Vermutlich ist sie die exzentrischste Gästin, die diese Wohnung je beherbergt hat. 

Sie schleuste Portwein in Wärmflaschen ein, obwohl ich beteuerte, dass Alkohol in diesem Haus wirklich kein Problem sei. Marian trug an jenem Abend einen selbstgestrickten Pullover aus selbst gesponnener Wolle. Jahre hatte sie damit verbracht ihrer Katze das Fell auszukämmen und es in einer Tüte zu sammeln.  Marian bat mich, ihr den schweren Rucksack mit Sardinenbüchsen abzunehmen. Das Rheuma. plagte sie.

“ Sei so gut und püriere mir ein paar Fische. Wir wollen doch eine gute Grundlage für den Portwein haben.“

Marian ist 92, lehnt Zahnprothesen ab und ist stocktaub. Ihr Hörrohr hatte sie in der “ Bruderschaft zur Quelle des Lichts“ vergessen, einem Altersheim, das bis vor kurzem noch von einem dubiosen und autoritären, selbsternannten Guru geführt wurde.

Bis die weibliche Revolution ausbrach, der Hungerstreik begann und sie die einzigen Überlebenden waren, auf einer Erde, heimgesucht von Eiszeit und Werwölfen.

Das mit der Eiszeit und den Werwölfen schrieb ich dem Portwein und ihrer ohnehin ausgeprägten Phantasie  zu.

Bevor sie aufbrach, gab sie noch ein melancholisches Statement:

„Eiszeitalter vergehen, und obwohl die Welt zur Zeit überfroren ist , glauben wir, daß der Tag kommen wird, an dem wieder Gras und Blumen wachsen werden. Inbrünstig hoffen wir alle, dies möge eine Verbesserung der Menschheit bedeuten…“

Drei Tage habe ich Marian Leatherby zugehört, während wir Portwein aus Wärmflaschen tranken und pürierte Sardinen assen. Eine Erzählung von später Selbstermächtigung und wilder Freiheit. Selbst in die Zeitung hatte sie es geschafft: „Die Greisin und das Dynamit“, titelte die FAZ

Leonora Carrington hat einen wunderbar surrealistischen, poetischen und feministischen  Roman der Welt hinterlassen.

https://m.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/die-greisin-und-das-dynamit-1549806.html

Eine wunderbare Rezension fand ich hier:

Leonora Carrington: Das Hörrohr

“ Das Hörrohr“